Interview mit AA und Alanons

„Man muss nur reinkommen“ 

 

Präambel der Anonymen Alkoholiker

 

Anonyme Alkoholiker sind eine Gemeinschaft von Menschen, die miteinander ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen, um ihr gemeinsames Problem zu lösen und anderen zur Genesung vom Alkoholismus zu verhelfen.

 

Die einzige Voraussetzung für die Zugehörigkeit ist der Wunsch, mit dem Trinken aufzuhören. Die Gemeinschaft kennt keine Mitgliedsbeiträge oder Gebühren, sie erhält sich durch eigene Spenden.

 

Die Gemeinschaft AA ist mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution verbunden; sie will sich weder an öffentlichen Debatten beteiligen, noch zu irgendwelchen Streitfragen Stellung nehmen.

 

Unser Hauptzweck ist, nüchtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen

 

Präambel von Al-Anon

 

Die Al-Anon Familiengruppen sind eine Gemeinschaft von Verwandten und Freunden von Alkoholikern, die ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung miteinander teilen, um ihre gemeinsamen Probleme zu lösen. Wir glauben, dass Alkoholismus eine Familienkrankheit ist und dass eine veränderte Einstellung die Genesung fördern kann.

 

Al-Anon ist nicht gebunden an irgendeine Sekte, Konfession, politische Gruppierung, Organisation oder irgendwelche Institutionen. Al-Anon geht auf keinen Meinungsstreit ein; bei Anliegen außerhalb der Al-Anon Gemeinschaft wird kein Standpunkt befürwortet oder abgelehnt. Es gibt keine Mitgliedsbeiträge. Al-Anon erhält sich selbst durch die eigenen freiwilligen Zuwendungen.

 

Al-Anon hat nur ein Anliegen: den Familien von Alkoholikern zu helfen. Dies geschieht dadurch, dass wir selbst die Zwölf Schritte praktizieren, dadurch, dass uns Angehörige von Alkoholikern willkommen sind und wir sie trösten und dadurch, dass wir dem Alkoholiker Verständnis entgegenbringen und ihn ermutigen.

 

 

Umbreit: Sie sind jetzt von den AA und den Alanons. Ich sehe in Ihrer Literatur, dass es auch noch Alateens gibt?

 

R: Das gibt diese Organisationen der Alateens für die Jugendlichen, die unter dem Familienbild des Alkoholismus leiden, genauso wie es Alanon für die Erwachsenen gibt. Wenn ein Jugendlicher selbst ein Alkoholproblem hat, sollte er in eine AA-Gruppe gehen.

 

Mangels Teilnehmern gibt es derzeit aber in Niederbayern keine Alateens. Früher gab es welche in Landshut, aber die haben sich mit der Zeit aufgelöst, weil die Jugendlichen einfach zu alt geworden sind.

 

Umbreit: Können Sie kurz erklären, was die Anonymen Alkoholiker und die Alanons sind?

 

R (AA): Also, unsere Präambel beschreibt eigentlich unsere Funktion.

 

B (AA): Das bringt uns auf den Punkt: Dass wir unabhängig sind, was unser Hauptzweck ist, und so weiter.

 

A (Alanons): Bei uns Alanons gibt es auch eine Präambel. Die besagt, dass wir den Leuten helfen möchten, dass der Alkoholismus eine Familienkrankheit ist, dass wir unabhängig sind, dass wir auch keinen Standpunkt einnehmen. Es gibt auch keine Mitgliedsbeiträge. Unser Anliegen ist es, den Angehörigen von Alkoholikern zu helfen. Und das geschieht dadurch, dass wir diese Zwölf Schritte praktizieren. Dadurch, dass uns Angehörige von Alkoholikern willkommen sind und wir sie trösten. Und dadurch, dass wir dem Alkoholiker Verständnis entgegen bringen.

 

Umbreit: Ich sehe da jetzt bei den zwölf Schritten auch Gebet und Meditationen. Ist das tatsächlich etwas, das ein Teil dessen ist, was Sie tun, oder ist das nur ein historisches Relikt?

 

A: Es ist jetzt nicht Gebet, aber wir haben praktisch für jeden Tag einen Text, den man zu Hause durchliest. Das hilft, weil oft etwas dabei ist von dem man sagt: Das bringt mich wieder weiter, das passt gerade.

 

Umbreit: Das heißt, sie haben einen Büchlein für jeden Tag?

 

A: Und das wird bei der Gruppe immer vorgelesen. Da kann man sich dann bei Bedarf austauschen drüber und Stellung nehmen.

 

Umbreit: Sind das Erzählungen aus dem Leben von Menschen oder eher Ideen?

 

R: Es sind Anregungen zur Selbsthilfe.

 

B: Jeden Tag gibt es einen Kernsatz, das ist ein Auszug aus verschiedenen Literaturen, aus denen einzelne Absätze herausgenommen sind. Und in der weitere Text ist dann eine Erläuterung des Kernsatzes aus der Persönlichen Sicht eines AA-Mitglieds. Und diesen Text kann ich dann für mich analysieren, was mir dieser Text gibt.

 

Umbreit: Das heißt, die Anonymen Alkoholiker und die Alanons, das sind nicht nur ihre Treffen, sondern das sind auch noch darüber hinaus diese täglichen Leseeinheiten?

 

B: Genau. Und ich finde, in unserer Literatur wirklich sehr viele Antworten auf meine Fragen. Und nur bin ich mich mit der Literatur beschäftige, kann ich in diese Materie eintauchen. Ich habe letztes Jahr so eine Phase gehabt, da habe ich das tägliche Lesen schleifen lassen. Und da ging es mir dann im nachinein mental nicht gut. Und irgendwie habe ich mich dann wieder erden können, und jetzt bin ich wieder fleißig in unserer Literatur unterwegs und es ist wieder besser.

 

R: Diese Gedanken zum Tag gibt es einmal als Buch von Alanon, und auch die Anonymen Alkoholiker haben ganz ähnlich die Gedanken zum Tag. In unserer AA-Gruppe schreiben wir die Gedanken zum Tag außerdem in eine Whatsapp-Gruppe.

 

Umbreit: Für die, die das Buch nicht haben.

 

R: Genau, richtig. Und manchmal erwischt man an dem Tag des Buch nicht, aber sein Handy hat man meistens zur Hand.

 

B: Und es kann halt echt vorkommen. R stellt das Wort des Tages jeden Morgen in die Whatsappgruppe, und manchmal antworten Leute mit ihren verschiedenen Ansichten zu gewissen Punkten. Und das ist dann für mich wie ein geschriebenes Meeting.

 

...Und das ist so schön bei den AAs. Ich kann sagen, wie ich diese Dinge sehe und es wird nicht bewertet. Und das ist immer gut. Wo hat man das außerhalb? Alles, was ich das von mir gebe, sei es jetzt in der Familie oder bei Freunden, es wird alles bewertet, was ich sage. Und bei den Aas kann ich es einfach so in den Raum stellen und das tut mir eben auch gut.

 

A: Bei uns Alanons ist es genau so. Das heißt: Man kann alles vorbringen. Und es geht nicht nach außen. Es bleibt hier. Also es wird nicht mit anderen zu Hause oder im Freundeskreis besprochen. Da kann man sich 100% drauf verlassen.

 

A: Es gibt auch recht viel Literatur. Man kann sich die Bücher selbst kaufen oder bei uns leihen. Und manchmal, da passt es einfach ganz genau, was da steht, das bringt mich weiter. Es ist oft das richtige zum richtigen Zeitpunkt.

 

R: Wir diskutieren bei AA und Alanon nicht, sondern das Ziel ist, dass jeder das sagen kann, was er will, sich entladen kann – wir nennen das: Jeder darf in die Mitte hinein legen, was ihn bewegt, was er von sich aus sagen will. Und jeder kann sich da heraus nehmen, was für ihn passt. Wir vermeiden jede Diskussion, wir würden uns vermutlich gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn wir über Alkohol diskutieren würden im Sinne von: „Du hast nicht Recht, ich habe Recht.“

 

B: Und AA ist für mich auch ein Lebensprogramm. Es geht nicht nur um Alkoholismus im Meeting, es geht um ganz alltägliche Dinge, meine Beziehungsprobleme, Probleme in der Arbeit, meine Krankheit, ich kann über alles sprechen. Es ist sehr weit gefächert.

 

Umbreit: Auch ein Lebensbegleiter.

 

B: Auf jeden Fall. Ich habe eine klinische Entgiftung hinter mir, ich war fünfzehn Wochen auf Langzeit-Therapie. Und da würde mir von der Therapeutin gesagt: Suchen Sie sich für die Nachsorge eine Selbsthilfegruppe. Und das habe ich gemacht, und bin froh drum. Für mich ist dieses klinische jetzt ja Vergangenheit, aber ich brauche eine Begleitung in meinem Alltag. Und das ist für mich eben die AA. Es gibt ja auch andere Selbsthilfegruppen für Alkoholiker, wie den Kreuzbund. Aber für mich sind es die AA. In dieser Käseglocke Klinik ist man in diesen Klinik-Alltag eingebunden. Aber wenn man sich dann daheim bewähren muss, nach so einem Klinikaufenthalt, da braucht man diese tägliche Begleitung. Und wenn mir jetzt das wöchentliche Meeting nicht reicht, kann ich zu einem anderen Meeting in der Region fahren, das an einem anderen Wochentag stattfindet, oder wir sind eben auch telefonisch vernetzt. Und das ist für mich ein Rückhalt, eine Sicherheit. Einfach die Begleitung im Alltag.

 

Umbreit: Sie haben gerade die Region erwähnt. Ich habe gesehen, in Vilsbiburg gibt es noch einen Treffen. Von wie weit her komme denn die Leute zu ihrem Landshuter Meeting?

 

R: Schwerpunktmäßig Landshut, außerdem noch aus Rottenburg, aber da gibt es jetzt einen neue Gruppe. Es gibt schon länger welche in Dingolfing, Regensburg, Vilsbiburg eben. Wir haben auch einen Flyer mit allen Meetings in Niederbayern.

 

B: Während der Corona-Zeit sind auch mehr und mehr Online-Meetings entstanden. Das ist auch immer noch gut für die Leute, die nicht so mobil sind oder sehr weit fahren müssten. Diese Online-Meetings sind inzwischen fester Bestandteil unserer Meeting-Landschaft.

 

B: Wir hatten hier während der Corona-Zeit das Glück, dass wir einfach die Treppe hochgehen konnten und die Stühle entsprechend auseinander rutschen konnten. Und mit Maske und so weiter doch ein Präsenz-Meeting haben konnten. Und das war für mich in den Zeitpunkt sehr, sehr wichtig. Ich bin im September 2020 aus der Klinik entlassen worden und einfach so ins Leben reingeschickt worden. Und da war es sehr froh, dass ich da in das Meeting gehen konnte.

 

Umbreit: Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie die erste Gruppen, die wieder da waren nach den Lockdowns. Da haben wir damals gesagt, das pressiert, wir müssen die Räume wieder freigeben für diese Gruppen, das ist für die Gesundheit der Teilnehmenden wichtig.

 

B: Ja, mit Maske und auf der anderen Seite... Schon im Sommer, damals.

 

Und mein Weg mit den AA führt mich in die Nüchternheit. Das ist eben ein Lebensgefühl. Es ist kein täglicher Kampf mehr.“

 

Umbreit: Ja. Sie sind schon ein bisschen drauf eingegangen. Können Sie einmal den Ablauf eines Treffens schildern? Wie kann man sich das vorstellen? Gibt's was zu Essen?

 

R: Traditionell gibt’s bei den AA Kaffee und Wasser, gegen Spende. Wenn jemand was mitbringt, gibt’s auch mal einen Kuchen.

 

Wir beginnen damit, dass die Präambel vorgelesen wird. Dann folgt ein Rundgespräch, das heißt, jeder kann sagen, was ihm in den letzten zwanzig Stunden wichtig war, was ihn bedrückt oder nicht bedrückt, was gelungen ist, und so weiter. Wir sind derzeit eine ziemlich starke Gruppe mit meistens so fünfzehn Personen, die in einem gegebenen Meeting anwesend sind, darum ist nach dem Rundgespräch oft eine Stunde rum. Deswegen machen wir danach meistens eine Pause. Und wenn dann niemand sagt, dass er oder sie ein dringendes Thema hat, dass sie mit der Gruppe besprechen wollen, dann bearbeiten wir eine dieser Zwölf Schritte, immer den, dessen Zahl zum Monat passt, also jetzt im Februar den zweiten Schritt.

Dabei tauschen wir uns darüber aus, was der Einzelne zu diesem zweiten Schritt mein, erlebt hat, wie er ihn sieht, wie er sich selbst dort empfindet.

 

A: Bei uns Alanons ist es sehr ähnlich wie bei den AA. Wir lesen am Anfang die Präambel, und dann sprechen wir darüber. Also, wenn genug da sind. Wir sind leider sehr wenige geworden. Heute sind nur wir zwei da. Manchmal fährt man rein und es ist keiner da, dann währt man wieder heim. Jedenfalls kömmt nach der Präambel der Gedanke zum Tag, und nach dem Gespräch darüber tauschen wir uns über die Zwölf Schritte aus. Wir bringen uns aber unsere Getränke selbst mit.

 

R: Diese Zwölf Schritte, die gehören zu einem Zwölf-Schritte-Programm, bei den AA genauso wie bei den Alanons. Es gibt dazu passend auch zwölf Traditionen, zwölf Konzepte und zwölf Versprechen. Die beschreiben, was wichtig ist.

 

Das Programm ist nicht kirchlich, aber spirituell geprägt. AA-Gruppen in Indien, die aus Hindus bestehen, oder in der Südsee, die arbeiten alle mit dem gleichen Programm wie wir. Es ist nicht einigend.

 

Umbreit: Man kann es christlich füllen, aber man kann es auch ganz anders füllen.

 

R: Genau. Es kommt sehr häufig das Wort Gott vor, das führt auch manchmal zu Gesprächen, weil sich Einzelne belastet fühlen dadurch. Da versuchen wir dann zu vermitteln, dass das einfach ein Wort für das Spirituelle ist, das aus historischen Gründen so gewählt wurde, weil die Zwölf Schritte eben einer westlichen kulturellen Prägung entstammt. Dass es einfach nur ein Wort ist, und da auch jedes andere Wort stehen könnte.

 

A: Wie wir sagen dann oft „höhere Macht“. Aber damit, ob man christlich ist oder welchem Glauben man anhängt, hat es eigentlich nichts zu tun.

 

B: Und das Schöne ist, ich kann selber zulassen, wie viel Spiritualität ich haben will. Das ist das Eigenverantwortliche daran. Aber ich kann es eben auch spirituell, auch christlich angehen. Das heißt für mich auch, dass ich Dinge abgeben kann. Und das ist für mich persönlich sehr, sehr wichtig, dass ich nicht alles selber meistern muss, dass ich nicht die Last der ganzen Welt auf meinen Schritte trage.

 

Und das Programm führt mich [durchs Leben]. Das ist mit einer der Gründe, warum ich regelmäßig in das Meeting komme, und ich komme wirklich gerne.

 

Wissen Sie, wir gehen alle 14 Tage ins Bezirkskrankenshaus in Landshut, in die Stationen, wo die Patientinnen und Patienten vom Alkohol oder auch von Medikamenten entwöhnt werden, und machen da unsere Informationsveranstaltungen. Wir machen das in Zweierteams, ich und mein Kollege sind alle vier Wochen einmal dran. Und ich fange immer an. Ich heiße B, ich bin Alkoholikerin und ich darf nüchtern leben. Und damit es so bleibt, gegen die ich regelmäßig in das AA Meeting. Das ist so einfach mein Einstieg. Und dann erkläre ich, was der Unterschied ist zwischen Nüchternheit und zwischen Trocken Sein. Denn für mich ist das ein sehr großer Unterschied. Trocken Sein ist, keinen Alkohol zu trinken, und nüchtern sein ist für mich ein Lebensgefühl: „Ich bin angekommen.“

 

Ich sage auch ganz klar: Trockensein bedeutet, keinen Alkohol mehr zu trinken. Aber es kann sehr mühsam sein, keinen Alkohol zu trinken. Um mir das Ganze leichter zu machen, gehe ich zur AA. Und mein Weg mit den AA führt mich in die Nüchternheit. Das ist eben ein Lebensgefühl. Es ist kein täglicher Kampf mehr.

 

Umbreit: Also Nüchtern hat es quasi der Punkt, wo da Kampf nicht mehr täglich ist.

 

B: Genau. Das ist jetzt meine persönliche Meinung.

 

Der einzige Voraussetzung ist, die Tür aufzumachen und durch die Tür hindurch zu schreiten. Sie herzusetzen und da zu sein.“

 

Umbreit: Wenn sich jemand denkt, es hört sich an, als ob mir das gerade helfen könnte. Und möchte herkommen. Wie fängt der oder die das am besten an? Ruft man da eher erst mal an? Oder kommt man einfach, wie machen das die meisten Menschen?

 

R: Sie machen die Tür auf und kommen. Das ist alles. Der einzige Voraussetzung ist die Tür aufzumachen und durch die Tür hindurch zu schreiten. Sie herzusetzen und da zu sein. Es gibt keine Voraussetzungen. Selbst Menschen, die noch trinken, wir sagen, die noch leidend sind, können kommen, solange sie sich vernünftig benehmen. Also nicht randalieren oder andere beschimpfen und so weiter. Und sonst ist so ein Abend immer offen. Da müssen sie nicht anmelden. Da kann man kommen. Da kann man auch zwischendurch gehen. Man kann kommen, wenn man will, man kann gehen, wenn man will. Man muss auch nicht jedes Mal kommen. Man nimmt sich das, was man meint, was einem gut tut.

 

A: Das ist bei Alanon genauso.

 

B: Und es kommt vor, dass Leute bei uns reinschnuppern und wieder gehen, aus den verschiedensten Gründen.

 

In der Präambel steht ja, dass es reicht, wenn man den Wunsch hat, mit dem Trinken aufzuhören. Wenn jetzt jemand für sich erkennt, ich bin noch nicht so weit, ich möchte noch nicht aufhören, dann geht der wieder. Oder jemand kommt, weil er von der Familie, von der Angehörigen geschickt wird. Wenn das der einzige Beweggrund ist, hört der auch bald auf. Oder das Umfeld passt einfach nicht, der Mensch fühlt sich nicht wohl und muss sich jede Woche überwinden, zu kommen, das macht auch keinen Sinn.

 

Und deshalb ist es bei uns einfach alles offen und alles ist freiwillig. Wann die Meetingzeiten sind, steht am Samstag und am Montag in der Landshuter Zeitung. Da stehen auch Kontaktdaten und das betroffene Angehörige herzlich willkommen sind. Also einfach diese Einladung.

 

Mehr als einladen können wir ja nicht. Es ist genauso wie in der Kirche, der Gottesdienstbesuch ist ja auch eine Einladung. Wir laden ein zur Begleitung und dass man das positive Leben wiederfindet.

 

A: Bei Alanons ist es so, dass die meisten erst kommen, wenn sie sich keinen Rat mehr wissen, weil sie alles versucht haben und alles nicht geholfen hat. Und dieser Weg ist bei Manchen nicht ganz so lang, bei manchen ist er sehr lang, weil man es immer wieder versucht, den Alkoholiker zu richten. Und dann passiert immer mehr. Und man verheimlicht das sehr, vor allen, weil man sich fremdschämt oder dumm angesprochen wird und man schauspielert. Man räumt das weg was der Alkoholiker meint, dass er trinken muss. Egal, was der da trinkt, Wein, Bier, alles Alkoholische. Man räumt es weg, aber er besorgt es sich sofort wieder. Und das geht oft über Jahre, dass man das so praktiziert. Es geht immer weiter runter. Und man unterstützt ihn, was auch falsch ist.

 

Aber das lernt man in der Gruppe, dass wenn man den Alkoholiker unterstützt, kommt er natürlich auch nicht vom Alkohol weg, weil irgendwie bringt man ihn jedes Mal wieder raus und es geht schon wieder. Und viele setzen den Alkoholiker unter Druck: „Wenn du...“ Aber wenn man was ankündigt und dann nicht macht, dann kommt der sehr schnell der hinter, das hat ja eigentlich gar keine Folgen. Und das geht von einem ins andere. Da leiden die Kinder drunter, die Familie. Es geht so viel kaputt.

 

Mir ging das auch so, ich habe das über Jahre gemacht und letztendlich nicht mehr gewusst, was ich machen sollte. Ich habe mir immer wieder gesagt, wir schaffen das schon, und er wollte es ja schaffen! Er hat's immer wieder versucht, und dann eine Zeitlang gearbeitet, eine Zeitlang ist es gegangen, dann ist es wieder nicht gegangen. Es ist viel passiert, Führerschein weg, und so weiter. Und dann war es wieder ganz schlimm, und dann war er wieder in der Langzeit-Therapie, und da hab ich mir keinen Rat mehr gewusst und bin eben reingefahren und reingegangen, so wie es R beschrieben hat. Vorher dachte ich halt immer: Irgendwie läuft ja alles, irgendwie schafft man es schon, da gehör ich dich nicht hin, was sind denn für Leute dort. Und dann bin ich hier hereingekommen in die Gruppe, und ich muss sagen: Das waren ganz normale Leute, so wie ich auch. Und ich hab mit denen reden können, und ich habe keine Ratschläge gekriegt – bei uns heißt es: Ratschläge sind auch Schläge. Da kriegt man gesagt, mach dieses, mach jenes. Aber es klappt halt meistens gar nicht, oder bei ganz vielen nicht. Und das ist hier anders: Da gibt’s dann keine Kritik, sondern ich kann mich austauschen, und es geht mir nachher viel besser, es stabilisiert sich dann auch vieles. Manche schaffen es dann, manche nicht, das ist unterschiedlich; aber es gibt einem einfach Halt. Und zu Hause wird es für die Kinder ruhiger, es ist nicht mehr so schlimm, wenn man in die Gruppe geht ist das also für alle von Nutzen.

 

Umbreit: Auch weil es kein so großes Geheimnis mehr ist, wenn man in der Gruppe davon sprechen kann?

 

A: Ja. Und man bekommt auch viel mit, was man handeln soll. Was der Alkoholiker macht, das habe ich nicht in der Hand. Aber ich kann es nicht noch mal verstärken, dass er dann sowieso nicht wegekommen. Das liegt dann nicht bei mir. Das ist dann bei ihm. Wichtig ist, dass ich selber besser damit leben kann, mit dem gemeinsamen Weg. Oder damit, dass ich meinen eigenen Weg gehe, es kommt auch vor, dass man sich an der Stelle trennt. Gerade wenn Kinder mit dabei sind, weil die ja auch sehr darunter leiden. Das kann man halt nicht sagen, was dann passiert. Aber wie es auch ist, man findet hier Unterstützung. Und das tut gut.

 

B: Jeden letzten Montag im Quartal findet, wenn Angehörige da sind, ein gemeinsames Meeting statt. Und als ich da, so die ersten Male, die Sichtweise der Angehörigen gehört habe, ist mir das erste Mal so richtig bewusst geworden, was ich meiner Familie da angetan habe. Mein Mann, der hat alles mit sich selber ausgemacht, und irgendwann im Nachhinein hat er mir erzählt: „Du, ich habe einfach abgewartet.“ Meine Söhne, die haben sehr drunter gelitten. Und die waren auch mal bei einem offenen Angehörigen-Meeting dabei. Und auf dem Heimweg sagt mein Sohn zu mir: „Ich bin so froh, ich hab meine Mama wieder.“ Und das ist für mir wirklich sehr ein Gedächtnis geblieben.

 

Aber in der Zeit, als ich getrunken hab, der war ich so mit meiner eigenen Geschichte beschäftigt, dass ichdas einfach verdrängt habe, was ich meiner Familie alles zugemutet habe, vor allem auch die Angst um die Mama, dass sie sich zu Tode trinken muss. Und vor allem auch die Hilflosigkeit. Und meine Kinder, die waren damals so Mitte 20 und haben sich gegenseitig den Halt gegeben. Aber jetzt so im Nachhinein, wird mir das einfach alles erst bewusst, was ich da so gemacht habe mit meiner Familie. Und das ist für mich auch ein Zeichen meiner Nüchternheit. Ich bin jetzt wieder klar, ich kann mich mit solchen Dingen auseinandersetzen. Ich hab allerdings das Glück, meine Familie ist nicht nachtragend, da bin ich sehr dankbar. Weil sie es sagen, jetzt in der Vergangenheit Rumzuwursteln, das bringt überhaupt nichts. Wichtig ist jetzt die Gegenwart. Und ich bin auch dankbar, dass mein Mann mich damals nicht verlassen hat, weil vielleicht wäre ich dann total abgestürzt. Aber das ist wie gesagt alles Vergangenheit. Und ich lebe im hier und jetzt. Und nüchtern.

 

Umbreit: Wenn ich das richtig raushöre, ist bei vielen so, dass entweder die Angehörigen bei Alanon sind oder jemand, der eben in Richtung Nüchternheit zu gehen hofft, bei den AA ist – aber es ist eher selten, dass man als Paar oder als Familie kommt, oder eher dass man getrennt anfängt.

 

E: Bei uns war es so, dass mein Mann zu einer anderen Institution gegangen ist, es gibt in Landshut ja auch das Netzwerk. Und ich bin halt zu Alanon. Er hat dann aber sehr exzessiv getrunken, er hat dann auch drei Deliere gehabt, da stirbt man ja schon fast – und er ist dann schließlich auch verstorben. Bei uns war es so, es ist in dem Sinne nicht Schlimmes passiert und wir haben uns halt sehr gerne gemocht, und ich wollte mich auch nicht trennen, ich hätte ihn nicht stehen lassen können. Er war ein herzensguter Mensch, aber die Sucht hat ihn gekriegt, der Körper hat irgendwann nicht mehr mit gemacht.

 

R: Es gibt keine zwingende Verbindung zwischen AA und Alanon. Wenn jemand der Meinung ist, dass bei ihm zu Hause einer lebt, der Alkohl missbraucht, dann kann er zu Alanon kommen. Egal ob der Angehörige zu AA geht oder nicht geht, oder zum Kreizbund geht oder sonstwohin. Selbst wenn derjenige gar nicht selbst sagt: Ich habe ein Problem. Und wenn jemand meint, dass ihm die AA helfen könnten, weil er ein Alkohol-Problem hat, heißt das nicht, dass seine Familie deswegen zu Alanon gehen muss. Da gibt es kein bindendes „und“.

 

Ich kann sagen, okay, wenn du meist, du musst Trinken. Ich habe aber auch eine Existenzberechtigung.“

 

Umbreit: Also bei AA muss ich das Ziel haben, aufzuhören, und bei den Alanons muss ich den Eindruck haben, dass mein Angehöriger ein Alkoholproblem hat?

 

A: Die Voraussetzung ist für viele, dass man an den Punkt gekommen ist, wo man nicht mehr weiter weiß. Und dann sucht man sich Hilfe. Manche kommen schon etwas früher, das ist dann besser, aber sehr viele erst dann, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Ob dann der Alkoholiker aufhört zu trinken, das kann so oder so sein. Das hier ist einfach ein Lebensprogramm. Man wird sich durch die Gespräche über vieles bewusst, was man selber besser machen könnte oder auch, dass man sagt, das hätte ich anders machen sollen oder wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich anders reagiert, es ist einfach eine Hilfe fürs Leben.

 

E: Für mich war es eigentlich, dass ich mich selbst wieder finde. Dass ich nicht nur in dieser Dunstwolke drinnen bin und alles so dahin geht, sondern dass ich wieder mehr auf mich selber fokussiere. Und bei mein Leben wieder mehr auf meine Lebensqualität, auf meine Lebensfreiheit richte. Weil ob der jetzt wieder heimkommt unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen, das kann es nicht verhindern. Ich kann aber sagen, okay, wenn du meist, du musst das machen. Ich habe aber auch eine Existenzberechtigung. Und das habe ich hier wieder mehr gelernt.

 

Das andere ist vorbei und das nächste weiß man nicht.“

 

Umbreit: So wie Sie das beschreiben, hat das etwas sehr in sich Ruhendes, wie Sie hier arbeiten.

 

A: Wir sagen: Wenn dieser Tag heute gut ist, dann ist der gut. Wenn man dann überlegt, was wird morgen sein, das bringt nichts. Und gestern, können wir nicht ändern. Morgen kann er vielleicht ganz anders sein. Aber der Tag heute ist gut und dann genieße ich den. Ich habe das gelernt, wenn er Zeiten hatte, wenn er nicht getrunken hat und es ging soweit, dann muss man die Zeit genießen. Es gab mal eine Zeit, da hat er zwei Jahre nicht getrunken, da habe ich jeden Tag genossen. Und das lernt man auch hier, also dass man es so sieht. Wir sagen: Das andere ist vorbei und das nächste weiß man nicht.

 

R: Wir sagen ja keinem, dass er ein Alkoholproblem hat. Die Menschen, die da kommen, die bilden die ganze Skala ab, da gibt es diejenigen, die kommen und sagen, ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Alkoholproblem habe, bis hin zu demjenigen, der kommt und sag: „Ich weiß, dass ich mich umbringe damit.“ Und jeder hat ein Anrecht oder Berechtigung, daher zu kommen und sich hinzusetzen, einen Kaffee zu trinken und einfach da zu sein. Er oder sie muss auch nichts sagen. Es gibt keinen Sprechzwang, oder so. Wir stellen uns immer vor mit „Mein Name ist R, ich bin Alkoholiker“, aber wenn jemand das nicht sagen will, dann will er es halt nicht sagen, das ist auch okay. Dasein ist das wichtigste.

 

Wir halten die Hand hin, wie ich immer sag. Und, wenn sie jemand ergreift ist das gut, wenn sie jemand nicht ergreift, ist er vielleicht noch nicht so weit. Dann können wir ihm nicht helgen. Dann kommt er vielleicht in einem Jahr wieder, oder in zweien, oder auch nie.

 

Umbreit: Eine ganz andere Frage, wie lange sind Sie eigentlich schon hier?

 

R: Also unsere AA-Gruppe gibt es seit 1974, letztes Jahr hatten wir 50jähriges Jubiläum, da wurde die hier in der Fliederstraße gegründet. Und zwar ausgehend, meine ich, von Freising. Bei den Alanons wissen wir es leider nicht, wir führen keine geschichtlichen Aufzeichnungen.

 

Wir nehmen von außen grundsätzlich keine Spenden an, darum haben wir nicht viel Geld, und sehr häufig stellen die evangelischen Kirchen günstige oder kostenlose Gemeinderäumlichkeiten zur Verfügung für uns.

 

Umbreit: Wenn Sie am Gemeinde-Mitglied, das jetzt nicht mit Abtermichkeit zum Allkohl zu kämpfen hat, oder zu kämpfen hatte, was mit auf dem Weg geben würde, oder eben keine Angewöhrung hat, wo Sie sich nicht mehr in die Zähne haben, sondern auch in die Zähne, oder eben keine Angewöhrung hat, wo Sie das mit erlebt haben. Was würden Sie dem mit auf dem Weg gehen?

 

R: Herzlichen Glückwunsch. Ich weiß, dass ich nicht kontrolliert Trinken kann, ich weiß, dass ich mich damit töte, weil ich es am eigenen Leib erfahren hab, weil ich mich so kaputt gesoffen habe. Und wenn mir jemand sagt, ich kann kontrolliert Trinken, dann sag ich herzlichen Glückwunsch.

 

B: Schau auf dich, geh achtsam durchs Leben, und wenn du mal in eine Krisensituation kommst, dann weißt du, wo du uns findest.

 

A: Wenn es bei Ihnen ist, oder Sie haben wen im Bekanntenkreis, der so etwas hat, dann informieren Sie die Person: Dass es die Alanons gibt, dass man da hingehen kann, dass das alles anonym ist und man nichts von sich selber mitteilen muss, man kann einfach reinkommen und wiederkommen oder auch nicht, das ist jedem seine eigene freie Entscheidung.

 

B: Und vielleicht: Alkoholismus ist eine chronische Krankheit, für die man sich nicht schämen muss. Ich hab mich früher sehr geschämt deswegen und im Geheimen getrunken, weil ich nicht wollte, dass es jemand weiß. Und ich laufe immer noch nicht mit einem Schild „ich bin Alkoholikerin“ durch den Ort, aber es kann natürlich sein, dass ich im BKH oder hier im Meeting meine Nachbarn treffe. Und dann ist das so. Das ist nicht mehr Schambehaftet. Ich habe wieder ein besseres Selbstwertgefühl. Der Alkohol hatte mir das alles geraubt, und das hole ich mir jetzt wieder..

 

Umbreit: Vielen Dank für Ihre Offenheit.